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Wie lebt es sich in Buenos Aires? Wir probieren das gerade mal aus. An dieser Stelle wollen wir - für uns und für alle Interessierten - unsere Erlebnisse und Gedanken in Wort und Bild festhalten.

Dienstag, 6. Oktober 2009

Vorstadt voller Kultur

Wer auf der Suche nach Ruhe und Abstand von der lärmenden Großstadt
ist, sollte sich in den Tren de la Costa setzen und entlang des Ufers
des Rio de la Plata nach San Isidro fahren. Der pittoreske und
sichtbar reiche Vorort liegt eine halbe Stunde nördlich von der
Innenstadt von Buenos Aires und ist ein echtes Kultur-Schatzkästchen.
Wer zum Beispiel bei "Barrancas" - eine Haltestelle vor der Innenstadt
von San Isidro – aussteigt, findet rechts und links der Gleise einen
Flohmarkt, der unter dem Motto "Alles, was Uroma aus Europa
mitgebracht hat" zu stehen scheint. Als Vintage-Fan kann man hier von
schwarz-weiß Aufnahmen der Einwandererschiffe des frühen 20.
Jahrhunderts über Schmuck und Geschirr bis hin zu Schneiderbüsten und
Schminktischchen Trödel in wirklich gutem Zustand finden. Eine Station
weiter liegt gegenüber des Bahnhofs die Plaza Mitre, wo am Sonntag
Kunsthandwerker aus der Umgebung ihre Produkte verkaufen. Auch hier
gibt es – neben dem üblichen Nippes – schön gearbeitete Wollsachen,
Keramik und Lederwaren.
Wirklich tief eintauchen in die Vergangenheit des Ortes, aber auch des
Landes – vor allem in intellektueller Hinsicht – kann man als Besucher
der Villa Ocampo. Das Haus aus dem Jahr 1891 steht im nördlichen Teil
von San Isidro, wo auch die restlichen Häuser ein unvermutetes Ausmaß
annehmen und privater Wachschutz in den Straßen offenbar alltäglich
ist. Die Villa gehörte der Familie Ocampo und wurde durch Victoria
Ocampo, Kunstmäzenin und Herausgeberin der Kulturzeitschrift "Sur",
berühmt. Im Stil einer Coco Chanel lebte Victoria Ocampo ab etwa 1920
als freie Frau ohne Ehemann in der Villa und versammelte Künstler,
Schriftsteller und Intellektuelle um sich. Zu den Autoren von "Sur"
gehörten unter anderem Jorge Luis Borges und Max Horkheimer – die
Namen auf den Titelseiten der Ausgaben, die in der Villa ausgestellt
sind, lesen sich wie ein Who-is-Who des 20. Jahrhunderts. Sie sind
Zeuge einer Zeit, in der die führenden Köpfe Europas regelmäßig Buenos
Aires besuchten, um sich hier mit südamerikanischen Kollegen
auszutauschen. Die Führung durch die Villa ist vor allem wegen der
original erhaltenen Möbelstücke von Victoria Ocampo interessant, die
die erst 1979 verstorbene Autorin – sie schrieb eine Vielzahl eigener
Bücher - sehr gegenwärtig erscheinen lassen. Im oberen Stockwerk
befinden sich zwei kleine Ausstellungsräume, in denen derzeit Entwürfe
eines Hauses im Stil des funktionalen "Modernismo" zu sehen sind, die
die Architekturlegende Le Corbusier für Victoria Ocampo gezeichnet
hat. Das Haus selbst wurde nie gebaut, aber allein die
handgezeichneten Pläne sind den Besuch der Villa Ocampo wert. Nach dem
Rundgang sollte man aber auf keinen Fall gleich wieder gehen.
Mindestens so sehenswert wie das Haus ist der Garten, der sich am
besten bei Tee und Scons an einem der Tische im Freien genießen lässt.